Wunderbare Tatsache

Wunderbare Tatsache

Tägliche Bewegung ist für mich selbstverständlich, liebe Leserinnen und lie- be Leser. Wunderbar ist die Tatsache, dass sich wieder mehr Menschen bewegen und Sport treiben. Mit einem Augenzwinkern stelle ich fest, dass der Fitnesswahn ausgebrochen ist. Im- mer mehr Leute rackern sich auf öffentlichen Geländen, Fussballfeldern und Parks mit Liegestützen, Klimmzügen und hochintensiven Sprints ab. Einige schleifen einen Autopneu hinter sich nach, andere kriechen auf dem Boden herum. Mit wildem, Biels Stadtpräsident Erich Fehr zeigt gegen einen SCB-Nachwuchsspieler, dass er als ex-EHC-Biel-Juniorentrainer immer noch Eishockey spielen kann. Links beobachtet der frühere Eiskunstläufer Stéphane Lambiel den Zweikampf. Matthias Käser autoritärem Geschrei werden die Akteure weiter gedrillt. Bootcamps schiessen wie Pilze aus dem Boden – einfach nur Fuss- ball oder Boggia spielen findet weniger Anklang. Kürzlich ist mir in einer Kolumne folgende Aussage ins Auge gestochen:

«Bald steht niemand mehr im Tor. Lieber hängen alle daran und machen Klimmzüge.»

Fitnesscenter boomen und dem Körperkult wird gefrönt wie noch nie. Wollten Frauen vor einigen Jahren spindeldürr sein, wünschen sie sich heute stahlharte Pobacken, ein Sixpack und einen dicken Biceps. Es geht sel- ten um Gesundheit oder sportliches Vergnügen, sondern um Ästhetik, respektive das Gutaussehen. Gestählte, definierte Muskeln scheinen aktuell für Frau das Mass aller Dinge zu sein. Mann musste schon immer muskelbepackt sein, damit er dem gesellschaftlichen Bild des starken, erfolgreichen Typs angehört. Um diesem Trend gerecht zu werden, sind viele bereit, sich stundenlang sportlich zu betätigen. Am Mittag wird nicht mehr gegessen, sondern ein Low Carb Shake geschlürft. Natürlich wird auch deftig supplementiert; von Magnesium über Multivitamine, Proteine bis hin zu Anabolika steht fast alles auf dem Ernährungsplan – das freut die Kraftfutterindustrie. Ganz ehrlich, kaum jemand ausser Spitzensportlerinnen und Spitzensportler benötigen eine so ausgeprägte Muskulatur, geschweige denn ist es für Freizeitsportler bei vernünftigem Essverhalten nötig, zu supplementieren. Hauptmotivation, um sich zu bewegen, scheint oft nicht primär der ge- sunde Lebensstil zu sein, son- dern das fitte Aussehen, respek- tive die Selbstoptimierung des persönlichen Egos.

Es gehört zum guten Image, dass man Sport treibt und davon spricht, sei das auf sozialen Medien oder beim Bewerbungsgespräch. Soziologen sprechen davon, dass sich jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt und der ursprüngliche, sportliche Gedanke ( beispielsweise zusammen spielen, Aktivität zum Vergnügen betreiben, wett- eifern, etc.) verloren geht. Muskeln spürt man wachsen, nicht aber die Distanz zu den Mit- menschen oder dem tatsächlichen, stressfreien körperlichen und psychischen Wohlbefinden. Der Fitnesswahn ist Ausdruck eines falschen Ideals. Sicherlich habe ich ein überspitztes Phänomen beschrieben und persönlich finde ich es hervorragend, dass sich immer mehr Menschen bewegen und so vom positiven Effekt des Sports profitieren.

Ich zolle Wiedereinsteigern grössten Respekt. Hoffentlich sind die Motivationsgründe vorwiegend Freude an Bewegung, Spiel, Sport und Gesundheit und nicht ausschliesslich die oberflächliche Projektionsfläche des Körpers. Ganz ehrlich, auch ich bin natürlich nicht nur sportlich edel in Gedanken…auch ich schwitze des fitten Aussehens wegen, aber zum Glück vorwiegend aus Freude und weil ich den schönsten Beruf auf der Welt habe: Sportlehrerin und Trainerin.